BQ 882 – 62/2025
Führende ISHR-Vertreter trafen den syrisch-orthodoxen Patriarchen im Rahmen der historischen Wahlen nach Assad

(Bonn, 17.10.2025) Als Zeichen internationaler Solidarität trafen sich Erzbischof Prof. Thomas Schirrmacher, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (ISHR), und Matthias Böhning, Generalsekretär der ISHR, mit dem Syrisch-Orthodoxen Patriarchen von Antiochia und dem ganzen Orient, Ignatius Aphrem II., in Damaskus. Der Präsident der ISHR hat sich bereits mehrmals mit dem Patriarchen seit dessen Amtseinführung im Jahr 2014 getroffen. Der Besuch, der nur einen Tag nach den ersten Parlamentswahlen in Syrien seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 stattfand, konzentrierte sich auf die Bewertung der prekären Lage der christlichen Gemeinschaften des Landes und die Suche nach Möglichkeiten für globale Unterstützung zur Förderung von Pluralismus und Gleichberechtigung.

Das Treffen fand zu einem entscheidenden Zeitpunkt für Syrien statt, nach dem raschen Zusammenbruch der 50-jährigen Baath-Herrschaft von Bashar al-Assad. Am 8. Dezember 2024 eroberten oppositionelle Kräfte unter der Führung von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) in einer Blitzoffensive Damaskus, zwangen Assad zur Flucht nach Russland und beendeten damit einen mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg. Unter dem Interimspräsidenten Ahmed al-Sharaa, einem ehemaligen HTS-Führer, hat die Übergangsregierung den Aufbau der Nation zur Priorität erklärt, darunter auch die gestrigen indirekten Parlamentswahlen. Bei diesen Wahlen, die am 5. Oktober 2025 stattfanden, wurden 140 der 210 Sitze in der Volksversammlung durch Wahlunterausschüsse besetzt, die übrigen wurden von al-Sharaa ernannt. Bemerkenswert ist, dass es sich nicht um direkte Wahlen handelte, bestimmte Provinzen wie Raqqa und Hasakah aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen wurden und das Ergebnis eine ausschließlich sunnitische und ausschließlich männliche Versammlung ohne gewählte Frauen war – ein deutliches Zeichen für die Herausforderungen der Übergangsphase. Während viele Syrer, darunter auch Sunniten, ihre Enttäuschung über die mangelnde Repräsentativität zum Ausdruck bringen, sind die Wahlen ein vorsichtiger Schritt in Richtung einer Reform der Regierungsführung.

Erzbischof Schirrmacher Gespräch mit dem armenischen Erzbischof von Damaskus © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher

Die christliche Bevölkerung Syriens, die vor 2011 etwa 10 % der Gesamtbevölkerung von rund 22 Millionen Menschen (etwa 1,5 Millionen Menschen) ausmachte, ist aufgrund des Bürgerkriegs, des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und gezielter Verfolgung dramatisch auf weniger als 2 % geschrumpft – schätzungsweise 300.000 bis 900.000 Menschen. Nach dem Regimewechsel sind Christen laut Patriarch Aphrem nicht mehr direkt als Gruppe angegriffen worden, obwohl es Anfang 2025 bei Angriffen auf Küstengebiete und drusische Regionen zu vereinzelten Verlusten gekommen ist. Vorfälle sektiererischer Gewalt, darunter ein Angriff auf eine Kirche im Juni und Hausbrände im Juli, haben Ängste geschürt, doch die neue Führung hat öffentlich Schutz und die Wiederherstellung von Eigentum zugesagt. Salafistische Strömungen sind weiterhin eine kleine Minderheit, doch die größte Sorge ist das Fehlen von Pluralismus: Christen streben nach gleichberechtigter Staatsbürgerschaft in einem zivilen Staat, ähnlich dem säkularen Modell der Türkei, und nicht nach religiöser Herrschaft.

Während der Gespräche betonte Patriarch Aphrem den Schock über den raschen Sturz des Regimes – der in nur acht bis neun Tagen erreicht wurde – und die unerfüllten Erwartungen an einen umfassenden Wandel. Er hob die Spannungen zwischen der aus Idlib stammenden herrschenden Fraktion (mit 1.000 bis 2.000 Kernmitgliedern) und der sunnitischen Wirtschaftselite Syriens hervor, die wichtige Industrien im Ausland aufgebaut hat, beispielsweise im ägyptischen Textilsektor. Der Patriarch plädierte dafür, dass internationale Beobachter die Einhaltung der Verpflichtungen zu einer offenen Gesellschaft überwachen, einschließlich der Gleichberechtigung von Frauen, Glaubensgemeinschaften und Minderheiten – darunter die unglaublich geringe Zahl von nur noch fünf bis sechs Juden, die in Damaskus verblieben sind. Er betonte, dass der neue Präsident zwar wenig Interesse an religiösen Einmischungen zeige, echte Sicherheit jedoch darin liege, alle Syrer gleichermaßen zu schützen und Christen nicht unter internationalem Schutz zu isolieren. Schulen in kurdischen Gebieten bleiben aufgrund von Streitigkeiten über den Lehrplan geschlossen, was die Risiken einer gewaltsamen Lösung unterstreicht, die zur Vertreibung weiterer Christen führen könnte. Erzbischof Schirrmacher, der auch Präsident des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit (IIRF) und prominenter globaler Verfechter der Religionsfreiheit ist, bekräftigte das Engagement der ISHR für syrische Minderheiten.

Thomas Schirrmacher auf der in Apostelgeschichte 9,11 erwähnten „Geraden Straße“ in Damaskus im heutigen christlichen Viertel, die momentan von der Regierung neu gepflastert wird © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher

„Die Stimmen der Christen in Syrien dürfen in dieser fragilen Übergangsphase nicht übertönt werden; ihre Forderung nach einer pluralistischen Gesellschaft spiegelt das universelle Menschenrecht auf gleiche Staatsbürgerschaft wider“, sagte Schirrmacher. „Wir sind bereit, eine Brücke zwischen Europa und Damaskus zu schlagen und drängen auf eine Politik, die lokale Schutzmaßnahmen gegenüber externen Interventionen stärkt und sicherstellt, dass die Versprechen der Befreiung in gelebte Freiheiten für alle umgesetzt werden.“

ISHR-Generalsekretär Böhning bekräftigte die Dringlichkeit strukturierter internationaler Maßnahmen und stützte sich dabei auf die Erkenntnisse des Patriarchen zum Aufbau politischer Kapazitäten. „Da es keine Armee mehr gibt und die Regierungsbehörden nach wie vor nicht funktionsfähig sind, braucht Syrien mehr als nur Beobachtung – es benötigt gezielte Unterstützung wie Schulungsprogramme für christliche und moderate muslimische Laienführer in der Politik“, erklärte Böhning. „Die ISHR fordert die Einrichtung nationaler Plattformen, die den Dialog fördern und Gläubigen bei der Rückkehr und dem Wiederaufbau helfen.“

Der Besuch der ISHR-Delegation unterstreicht die fortwährende Mission der Organisation, marginalisierten Stimmen inmitten geopolitischer Veränderungen Gehör zu verschaffen. Er ist Teil einer Reihe von Delegationsreisen der ISHR-Führung in die Region und folgt auf persönliche Treffen im Libanon – unter anderem mit Mor Ignatius Youssef III Younan, dem syrisch-katholischen Patriarchen – und im Nordirak/Kurdistan. Während Europa um eine kohärente Syrienpolitik ringt, zeigt das Treffen Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft auf, inklusive Reformen voranzutreiben. Während des Treffens wurde Patriarch Aphrem von zwei weiteren Mitgliedern der ISHR-Delegation zur Teilnahme an der bevorstehenden Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2026 eingeladen: Raid Gharib, ein deutsch-syrischer Unternehmer, der sich für Minderheitenrechte einsetzt, und Dr. Philipp Hildmann, ein in München ansässiger Menschenrechtswissenschaftler und ISHR-Berater.

Downloads und Links

  • Foto 1: Die ISHR-Delegation im Syrisch-Orthodoxen Patriarchat © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher
  • Foto 2: Erzbischof Schirrmacher Gespräch mit dem armenischen Erzbischof von Damaskus © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher
  • Foto 3: Erzbischof Schirrmacher im Gespräch mit dem Syrisch-Orthodoxen Erzbischof von Bagdad © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher
  • Foto 4: Thomas Schirrmacher auf der in Apostelgeschichte 9,11 erwähnten „Geraden Straße“ in Damaskus im heutigen christlichen Viertel, die momentan von der Regierung neu gepflastert wird © IIRF/Dr. Esther Schirrmacher
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