Prof. Christine Schirrmacher sprach als Sachverständige im Landtag von Sachsen-Anhalt
(Bonn, 21.11.2025) Am 17. November 2025 tagte der 21. Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt und untersuchte den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024. Dabei hatte ein Mann mit einem Auto sechs Menschen getötet und viele verletzt. Der Ausschuss, der sich aus 13 Mitgliedern aller Fraktionen zusammensetzt und mindestens alle zwei Wochen tagt, plant bis Sommer 2026 einen Abschlussbericht vorzulegen. Er befragt Zeugen wie Betroffene, Polizisten, Behördenvertreter und Sachverständige wie Prof. Dr. Christine Schirrmacher aus der Abteilung für Islamwissenschaft und Nahostsprachen der Universität Bonn. Schirrmacher hatte im Vorfeld der Befragung ein nichtöffentliches Gutachten angefertigt, das den Ausschussmitgliedern vorlag.
Was Schiiten und Sunniten unterscheidet
Hintergrund dieses Tagesordnungspunkts war die Tatsache, dass der Attentäter Taleb A. dem schiitischen Glauben zugerechnet wurde, bevor er sich vom Islam lossagte. Schirrmacher erklärte hierzu, dass sich beide Strömungen in der Sichtweise darüber uneinig seien, wer die islamische Welt führen darf. So würden Schiiten die Meinung vertreten, dass dazu nur ein Verwandter beziehungsweise Nachfahre Mohammeds berechtigt sei. Sunniten dagegen seien der Ansicht, diese Person sei durch eine Wahl zu bestimmen. Heute bildeten Sunniten mit knapp 85 Prozent die Mehrheit der muslimischen Gläubigen, so Schirrmacher. Schiiten seien somit in der Minderheit.
Schiiten in Saudi-Arabien verfolgt
Die Konflikte zwischen beiden Strömungen seien erheblich, so Schirrmacher. Zwar seien sie theologisch begründet, würden heute jedoch machtpolitisch zum Ausdruck gebracht. So sei etwa Saudi-Arabien – Heimatland von Taleb A. – sunnitisch geführt. Schiiten hätten in der Vergangenheit mehr Gleichbehandlung gefordert. Schirrmachers Ausführungen legen nahe, dass sich die Situation für Schiiten in Saudi-Arabien seit etwa 2011 verschärft habe. Amnesty International schreibt dazu etwa: „Seit 2011 verfolgen die Behörden die im Land lebende schiitische Minderheit auf brutalste Arte und Weise.“
Frauen in Saudi-Arabien nicht allein rechtsfähig
Ein weiteres Thema, über das Schirrmacher auf Nachfrage berichtete, war die Situation von Frauen in Saudi-Arabien. Für sie gelte das Prinzip der männlichen Vormundschaft. Eine saudische Frau könne sich nie vollständig selbst rechtlich vertreten. Männliche „Vormünder“ wie Vater oder Ehemann müssten bei verschiedenen Rechtsakten zustimmen. Das gelte auch für die Ehe.
Der derzeitige saudische Machthaber Mohammed bin Salman habe diese Regelungen zwar etwas eingeschränkt, sie gelten jedoch immer noch, so Schirrmacher. Das Königshaus gebe noch immer den Takt der Reformen an. Mehrere Frauenrechtlerinnen seien im Land inhaftiert. Diese gesellschaftliche Struktur bedeute auch, dass eine Scheidung für Frauen in Saudi-Arabien sehr schwer sei. Mitunter gebe es familiären Druck, eine Ehe beizubehalten. Medienberichten zufolge gab Taleb A. an, 1995 mit einer damals 16-Jährigen für zwei Monate verheiratet gewesen zu sein.
Öffentlicher Atheismus in Saudi-Arabien strafbar
Zur Lage der Frauen in Saudi-Arabien führte Schirrmacher weiter aus, dass häusliche Gewalt gesellschaftlich zumindest geduldet sei – und anders als in vielen anderen islamisch geprägten Staaten gelte in Saudi-Arabien im Strafrecht Schariarecht. Entsprechend würden im Land auch noch Hinrichtungen praktiziert – laut Schirrmacher in hoher Anzahl. Öffentlich praktizierter Atheismus sei ebenfalls strafbewehrt und gelte per Gesetz als Form von Terrorismus. Kritische Äußerungen würden sanktioniert, Menschenrechtler wie Raif Badawi inhaftiert. Auch Taleb A. äußerte sich in den Jahren vor dem von ihm verübten Anschlag vehement kritisch gegen den Islam und gegen Saudi-Arabien. 2016 wurde ihm in Deutschland politisches Asyl gewährt.
Downloads und Links
- Foto 1: Prof. Dr. Christine Schirrmacher © Martin Warnecke
- Foto 2: Fassade des Landtages von Sachsen-Anhalt am Domplatz in Magdeburg © Axel Tschentscher CC BY-SA 4.0
- Internetseite von Christine Schirrmacher: https://christineschirrmacher.info
- Internetseite von Christine Schirrmacher an der Universität Bonn: https://www.ioa.uni-bonn.de/isl/de/pers/schirrmacher
- Pressemeldung des Landtags von Sachsen-Anhalt: https://landtag.sachsen-anhalt.de/islamwissenschaftlerin-im-pua
- Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt: https://landtag.sachsen-anhalt.de/landtag/ausschuesse-gremien/ausschuesse-detailseite/ausschuss/21-parlamentarischer-untersuchungsausschuss