BQ 717 – 13/2022
Der Generalsekretär der Russischen Evangelischen Allianz bittet um Vergebung

(Bonn, 22.03.2022) Der Generalsekretär der Russischen Evangelischen Allianz (REA), Pfarrer Dr. Vitaly Vlasenko, hat sich mit einem Brief und der Bitte, diesen zu veröffentlichen, an die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) gewandt. Vlasenko bittet in seinem Brief das ukrainischen Volk um Vergebung für das Vorgehen Russlands.

Im Folgenden geben wir den Brief von Vitaly Vlasenko in deutscher Übersetzung wieder.

Der Brief von Vitaly Vlasenko an das ukrainische Volk

An meine lieben Brüder und Schwestern in der ganzen Welt:

Als Generalsekretär der Russischen Evangelischen Allianz trauere ich darüber, was mein Land mit seiner jüngsten militärischen Invasion einem anderen souveränen Land, der Ukraine, angetan hat.

Für mich, wie auch für viele andere Christen, war die militärische Invasion ein Schock. Selbst unter der schlimmsten Annahme hätte ich mir nicht vorstellen können, was jetzt in der Ukraine zu sehen ist. Zwei eng miteinander verwandte Völker, von denen viele tief im christlichen (vor allem orthodoxen) Glauben verwurzelt sind, befinden sich nun in einem erbitterten Kampf – die eine Seite verfolgt das Ziel, die Ukraine zu entmilitarisieren, die andere versucht, ihr Land vor der Besetzung zu retten.

Viele Russen und Ukrainer haben enge Familienbeziehungen im jeweils anderen Land. Ein Russe hat möglicherweise Töchter und Enkelkinder, die in Kiew leben; ein Ukrainer hat eventuell Kinder, die in Moskau leben und arbeiten. Heute durchdringen Schmerz, Angst und tiefe Sorge um ihre Angehörigen und um die Zukunft ihres eigenen Lebens und Landes die Herzen vieler Menschen wie Blitze. Denn seit dem Zweiten Weltkrieg weiß niemand mehr, wo die Grenzen des Krieges und seiner Folgen liegen könnten.

Heute sterben Soldaten auf der einen und auf der anderen Seite. Friedvolle Empfindungen werden durch Bombardements und Beschuss zerstört, und eine Flut in Form von Flüchtlingen zieht besondere Aufmersamkeit auf sich und strömt nach Europa: Frauen, alte Menschen und Kinder.

All diese Ereignisse rufen in mir tiefe Trauer, Bitterkeit und Bedauern über die Entscheidungen der Führung meines Landes hervor, aber auch ein großes Mitgefühl für diejenigen, die unter dieser Entscheidung leiden. Alles, was ich tun konnte, um einen Krieg zu verhindern, habe ich in dem Versuch unternommen, diese militärische Invasion zu stoppen:

In meiner Eigenschaft als Generalsekretär der Russischen Evangelischen Allianz habe ich am Tag vor der Invasion einen offenen Brief an Präsident Wladimir Putin geschrieben, in dem ich die Bitte der religiösen Führer der Ukraine um eine friedliche Lösung aller Konflikte unterstützte. Wir initiierten Fasten und Gebet für Frieden und Harmonie zwischen Russland und der Ukraine.

Unsere Allianz beteiligte sich am öffentlichen Gebet an der Seite russischer, ukrainischer und europäischer Führer für die Versöhnung aller Parteien.

Die Russische Evangelische Allianz leistete humanitäre Hilfe für mehr als 500 Flüchtlinge aus der Ukraine, die in Südrussland stationiert sind, und initiierte einen Runden Tisch mit anschließender internationaler Konferenz zum Thema militärische und politische Konflikte.

Heute entschuldige ich mich als Bürger und Generalsekretär der Russischen Evangelischen Allianz bei all jenen, die unter diesem militärischen Konflikt gelitten, Angehörige und Verwandte oder ihren Wohnsitz verloren haben. Ich bete, dass Sie vom Herrn die Kraft empfangen, ihre Hand der Solidarität und Vergebung auszustrecken, damit wir als Volk Gottes in unserer Welt leben können.

Möge unser himmlischer Vater uns allen helfen.

In tiefer Hochachtung, Ihr Bruder im Herrn,

Vitaly Vlasenko

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